Von Frau Professor Dr. Rita Süssmuth

Ansprache der Präsidentin des Deutschen Bundestages,
Frau Professor Dr. Rita Süssmuth, anläßlich der Ausstellungseröffnung
„Gesichte und Gesichter – Gisela Bartels/ Anne Wagenfeld“
in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft am 31. Mai 1995 in Bonn.

Es ist mir nicht nur ein Vergnügen, sondern zugleich auch ein besonderes Anliegen,
anläßlich der Ausstellungseröffnung „Gesichte -Gesichter“ mit Werken von Gisela Bartels und Anne Wagenfeld hier in der
Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft einige einführende Worte zu sprechen. Zunächst liegt mir daran, der Initiatorin
dieser Ausstellung Frau Kollegin Terborg, ein herzliches Wort des Dankes zu sagen für das große Engagement, das sie in
Sache~ Kultur und Kulturförderung seit langem erbringt. Sie haben sich, sehr geehrte Frau Terborg, gerade um das Verhältnis
der Kulturschaffenden, Kulturinteressierten und Kultur-Sponsoren in Ihrer Heimatregion in besonderer Weise verdient gemacht.
Ihr Beispiel kann zugleich verdeutlichen, wie wichtig es bei dem nicht immer unproblematischen Verhältnis zwischen Politik
und Kultur ist, daß die Politik die sogenannte Regionalkultur nicht aus den Augen verliert. Die „‚Kunst von der Küste“, die
den Bezugsrahmen dieser Ausstellung bildet, illustriert deshalb für mich auch, wie wesentlich die Beiträge der Kunstschaffenden
zur kulturellen Identität einer Region und der in Ihr lebenden Menschen sein kann. Nicht zuletzt, liebe Frau Terborg, möchte
ich Ihnen aber auch dafür danken, daß Sie. sich in besonderer Weise für „Frauen als Künstlerinnen“ einsetzen.
Schließlich gilt

– wie in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft – auch in der Kulturszene,
daß es für Frauen oft schwerer ist als für .Männer, sich durchzusetzen und öffentliche Anerkennung zu finden.
Deshalb freue ich mich besonders, daß in der Ausstellung „Gesichte -Gesichter“ die Werke von zwei Frauen aus Norddeutschland,
von Frau Gisela Bartels und Frau Anne Wagenfeld, hier im nordrhein-westfälischen Bonn einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden.
Ich bin sicher, daß dieses Kunstangebot von der Küste, das vom 29. Mai bis zum 16. Juni 1995 hier in der Deutschen Parlamentarischen
Gesellschaft zu besichtigen ist, bei den Rheinländern auf breites Interesse stoßen wird.
Lassen Sie mich im folgenden in aller Kürze einige persönliche Eindrücke und Überlegungen zu den ausgestellten Werken der beiden
Künstlerinnen entwickeln. Die Bronzen, Tonplastiken und Zeichnungen von Frau Anne Wagenfeld fallen für mich dadurch ins Auge,
daß bei ihnen Mensch und Landschaft in oft skurriler und grotesker, jedoch durchweg eindrucksvoller Art und Weise miteinander
verschmolzen sind. Verzerrungen, Brechungen und Durchdringungen aller Art können nicht darüber hinwegtäuschen,
daß hier das scheinbar Fragmentarische immer zugleich neue Einheiten bildet. Neben den sich oft überlagernden Gesichtern
scheinen mir die Hände ein zentrales Symbol im Schaffen von Frau Anne Wagenfeld zu sein. Ich denke hier nur an die eindrucksvolle
Bronze „Haut“ aus dem Jahre 1983 oder auch die Tonplastik „Gesichter II“ aus dem Jahre 1988. Neben den Regionalbezügen auf ihre
norddeutsche Heimat, die unter anderem in den verwendeten Materialien deutlich werden, wird die Kunst von Frau I Anne Wagenfeld
allerdings auch durch ein exotisches Element bereichert. Jene „finis africae“, die in Umberto Eco’s Roman „Der Name der Rose“
nicht überschritten werden darf, hat die Künstlerin zugleich mutig und überzeugend in ihre Werke integriert. Die vielen afrikanisch
geprägten Gesichter ihrer Bronzen, Tonplastiken und Kreidezeichnungen sind hierfür der beste Beleg. Bei der Betrachtung mancher
Ihrer bemerkenswerten Kreidezeichnungen, liebe Frau Wagenfeld, habe ich mich übrigens auch an die Skizziertechnik der Zeichnungen
von Günter Grass erinnert gefühlt.
Wendet man sich von den eindrucksvollen Gesichtern in den Werken von Frau Wagenfeld den nicht minder beeindruckenden Gesichtern
in der Kunst von Frau Gisela Bartels zu, so scheint man zunächst eine ganz andere Welt zu betreten. In einer eigentümlichen,
unverwechselbaren Kombination von Federzeichnung und Aquarell trifft der Betrachter hier auf eine wahre Flut von Bildern,
die wiederum aus Bruchstücken von Bildern oder auch Bildzitaten bestehen. Dadurch wird der Betrachtende in besonderer Weise
gefordert: Mit einem Blick oder auch nur einer flüchtigeren Betrachtung ist es bei den Werken von Frau Gisela Bartels keinesfalls
getan. Vielmehr erfordern sie eine intensive Auseinandersetzung, umso Stück für Stück und Schicht für Schicht die hoch differenzierte
Komposition der Werke entschlüsseln zu können. Dann erst vermag der genauer Betrachtende zahlreiche Zitate aus Zeitgeschehen und
Mythologie wiederzuentdecken, Fabelwesen zu enträtseln und höchst moderne Collagenteile wieder zu erkennen. Um wiederum einen
literarischen Vergleich heranzuziehen, liebe Frau Bartels, möchte ich an die Ideen-, Einfalls- und Eindrucksfülle in den Werken
von Gabriel Garcia Marquez erinnern, die ebenfalls den Betrachter beziehungsweise Leser in besonderer Weise aktivieren und fordern.
Es bedarf zum Beispiel viel Geduld und genauer Analyse, um Ihrem Bild „Mischtechnik“ vom März 1992 das Profil im Profil des Profils
eines Frauenkopfes zu entdecken – wie überhaupt die Köpfe von Frauen in Ihren Werken, sehr geehrte Frau Bartels, eine zentrale
Rolle spielen.
Noch vieles wäre hinzuzufügen zu den hier in der Deutschen
Parlamentarischen Gesellschaft ausgestellten Werken der bei den norddeutschen Künstlerinnen Gisela Bartels und Anne Wagenfeld.
Ich möchte Sie alle ermuntern, die Ausstellungsobjekte einmal in Ruhe und Muße zu studieren und zu entdecken. Die Werke beider
Künstlerinnen sind ein weites, aber ungemein lohnendes Feld für jene Beschäftigung mit dem Ästhetischen, die in unserer hektischen
Zeit oft zu kurz kommt. Dazu brauchen gerade wir politisch Handelnden die Auseinandersetzung mit den Gesichten und Einsichten der
Kunst- und Kulturschaffenden. Nur zu oft ist darin Wegweisendes und Anregendes für gesellschaftlich- politisches Handeln zu entdecken.
Mit meinem nochmaligen Dank an die Initiatorin dieser Ausstellung, Frau Kollegin Terborg, verbinde ich deshalb die besten Wünsche für
eine weite Resonanz dieser Ausstellung hier in Bonn und Umgebung.
Die Ausstellung „Gesichte und Gesichter“ ist eröffnet.

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