Atelier-Galerie der Kunst-und Recht-Stiftung

Die Atelier-Galerie der Kunst-und Recht-Stiftung
ist am 4. 5. 2005 um 17 Uhr in Nordenham, Friedrich-Ebert-Str.4a eröffnet worden. Sie dient
der Künstlerin Gisela Bartels als Wirkungs- und Ausstellungsstätte ihrer Werke. Anderen
Künstlern wird allerdings auch die Möglichkeit nach Vereinbarung eingeräumt, dort ihre
Werke auszustellen.
Anlässlich der Eröffnung hielt der Kunstkritiker Jürgen Weichardt,
Oldenburg zu den ausgestellten Arbeiten (Retrospektive) von Gisela Bartels folgendes Referat:
Am Beispiel ihrer bisherigen alten und neuen Arbeiten zeigt Gisela A-
Bartels ein kleines Kaleidoskop der Methoden des Zeichnens.
Blätter aus früheren Werkphasen seit den siebziger Jahren lehnen an
der Wand und sind manchem von Ihnen bekannt. Darüber hängen
Bilder aus den letzten Jahren und zeigen an, dass die Schaffenskraft
der Künstlerin nicht nachgelassen hat, und weiter, dass die Thematik,
die sie seit mehr als einem Jahrzehnt behandelt, unerschöpflich
scheint.
Aber zunächst zu den Anfängen: Die schwarzen Blätter mit
zeichenhaften und wenig später architekturhaften Inhalten bestehen
aus abgeteilten flächenartigen Mosaiken, von denen jedes einzelne
Teil eine andere Zeichnungsform erkennen lässt. Auch wenn kein
Zweifel besteht, dass die großen zusammenhängenden Formen Ziel
des Arbeitsprozesses waren, sind doch die verschiedenen
Strichfolgen mit ihrem dichten Lineament, mit ihren
unterschiedlichen Richtungen die Ursachen, weshalb diese Blätter
immer wieder angeschaut werden können.
In der dritten Phase tauchen erstmals Farben auf, noch zart,
pastellhaft, in Schichten, als werde erprobt, ob mit dem Farbstift auch
Strukturen möglich gemacht werden können. Diese Experimente mit
Farben klären sich formal in den folgenden Phasen, pflanzliche
Elemente treten deutlicher hervor, bis sich eine Form öffnet, und_eine
Mischung aus Ornament und Figur heraustritt.
Hier beginnt eine grundsätzlich neue Arbeitsphase im Werk von
Gisela Bartels, die Beschäftigung mit dem Menschen. Ungefähr zu
dieser Zeit wird mit der „Tristan“- Reihe in Schwarzweiß das
Menschenbild noch einmal idealisiert; aber dieser schöne Schein lässt
sich nicht beibehalten; er führt ab von der Realität.
Tatsächlich hat Gisela Bartels, wie ich meine, die
literarisch- romantische Schaffensphase voller Zeichen
und Symbole abgelegt, als sie anfing, in der Zeichnung
menschliche Alltags-Gesichter zu zeichnen.
Und damit sind wir beim heute aktuellen Werk.
Unterlagen die älteren Zeichnungen einem relativ strengen Prinzip
der Ordnung, einem Hang zum Ornament, einem geschlossenen
Aufbau und einer Zuordnung der verschiedenen Linien, so wird in
den Zeichnungen etwa seit 1990 ein vielfältiges Menschenbild mit
einer ungewöhnlichen Offenheit der Formgebung verbunden.
Die Künstlerin beginnt diese Zeichnungen spontan, sie setzt eine
Linie, umfährt ein Profil, umkreist einen Kringel, horcht auf ihr
Inneres, sucht ihrer Stimmung empfindsam näherzukommen.
Die große weiße Fläche vor ihr fordert zum Besetzen auf, zu Linien,
die auf ihr laufen, Kurven schlagen, Kreise bilden, weiterlaufen, neue
Richtungen andeuten, die Richtung wechseln, bis die Bewegung der
zeichnenden Hand abbricht und irgendwo – aber jetzt
doch kompositionell abhängig von der ersten Linie – neu ansetzt.
Die Bilder entstehen in einem Arbeitsprozess, der in seinem
gesamten Ablauf zwar nicht von außen nachvollzogen werden kann,
der aber in Details und als Ganzheit sichtbar bleibt.
Diese Zeichnungen haben einen großen Hang zum Fabulieren. Die
Künstlerin erzählt in permanenter Verfolgung des Linienlaufs von
Köpfen, Gesichtern, Profilen, en face, von Begegnungen, Dialogen,
Konfrontationen, vom Werden, aber auch vom Vertuschen,
Verdecken, Verändern. Diese in und zwischen den Gesichtern
verborgenen Geschichten bleiben nicht in der noch leicht zu
durchschauenden Gegenwart, sie öffnen auch Details der Geschichte,
und wie bei einem Bilderbuch wecken die historisch angedeuteten
Köpfe, die Kopfbedeckungen oder Kragen Erinnerungen an Stoffe
der Vergangenheit. Wer sich mit ihr ein wenig beschäftigt hat und
dabei auf gezeichnete Köpfe gestoßen ist, könnte – wenn auch nicht
mit letzter Sicherheit – manchen Kopf hier wiedererkennen. Das heißt
nicht, dass Gisela Bartels ihn abgezeichnet hat; aber auch sie wird
sich erinnern, und aus dem Humus der Erinnerung tauchen diese
alten Köpfe auf.
Dieser skizzierte Prozess muss nicht zur Fülle ausgeweitet werden; es
ist gerade ein Zeichen der Kunst von Gisela Bartels, mit
Andeutungen zu arbeiten, die als pars pro toto für das Ganze stehen.
Ähnlich lässt sich ein geografischer Exkurs erwarten und erkennen,
auch wenn die Gesichtstypen aus der Feder der Künstlerin nicht
formalistisch einer Typologie-Lehre zuzuordnen sind, mit Recht
nicht.
Es gibt noch eine ganz andere nach innen gewendete Richtung in
diesen Zeichnungen; denn sie erzählen auch vom Innenleben der
Künstlerin, allerdings nicht vordergründig; man muss schon genau
hinsehen und die Linien lesend verfolgen, wenn in den Schraffuren,
im Schwarz des Lineaments, aber auch in der Auswahl der Gestalten,
in den Verbindungslinien und schließlich in den zuweilen
erkennbaren Gesten etwas auftaucht, vielleicht nur eine
Nebenbewegung wie eine Nebenbemerkung, die von den
Gedankenräumen und Erlebniszonen der Künstlerin spricht.
Lassen Sie mich noch eine Richtung in der Darbietung der Köpfe
anführen: Neben den historischen und den geografischen Versionen
gibt es solche, die Theater zu spielen scheinen: Dramatische,
tragische Gesichter, fröhliche, komödiantische Köpfe, clowneske
Visagen, und nicht zuletzt Masken, häufig sichtbar an den leeren
Augen. Indem Gisela Bartels sie alle durcheinander wirbelt, verweist
sie auf das Rollenspiel, das sich die Menschen angewöhnt haben. Es
ist nicht nur Theater auf dem Theater, sondern auch im einfachen
Leben, das sich in diesen vielen maskenhaften, maskierten und
schmerzbezogenen Gesichtern manifestiert.
Auch die Farben tragen dazu bei, dass das Ich der Autorin dieser
Erzählungen fast ohne Worte zur Geltung kommt: Gerade weil die
Linien in Schwarz fast immer offene Konturen sind, begrenzen sie
nicht. Und das charakterisiert auch die Farbgebung. Die Farben
werden nahezu frei von den Linien aufgetragen; sie unterstützen
wohl die gezeichneten Schwerpunkte, aber sie halten sich nicht an
irgendein begrenzendes Lineament. Die Farben lassen dem Weiß,
auf dem sie lagern, immer den Vortritt, sie beseitigen es nicht,
sondern treiben ihr Spiel auf diesem Weiß. Auch in der Farbwahl
sind sie offen. Wohl sind sie auf Klänge abgestimmt, die dominieren
deutlich vor einer einzelnen Farbe. Ein Klang aber ist unbestimmter
und offener, als wenn wir Rot oder Grün sagen.
Neben der leichten und lockeren Farbgebung muss der Linienführung
noch mehr Aufmerksamkeit gezollt werden: Wir haben sie bisher als
Dienerin der gegenständlich- inhaltlichen Elemente der Komposition
betrachtet. Sieht man einmal von den Inhalten ab, dann entdeckt man
die Fülle grafischer Elemente, die aus den Linien während des
Zeichnungsprozesses herauswachsen: Linien, einfache Striche, ihre
Bewegungen, Kurven, nicht zuletzt ihre Schriften und Wörter daraus
und schließlich ihre Positionierung zu Gesichtern – Der Kanon der
_ Linienführung wird noch erweitert um alle Variationen der
Verdichtung, der Parallelen, Schraffuren, Kreise, Spiralen,
Labyrinthe in der Führung von Linien, wobei diesen Häufungen
inhaltliche Bedeutung gegeben werden kann – zum Beispiel Frisuren,
Blüten, Blätter usf., aber auch abstrakte Zusammenhänge zwischen
und hinter den Köpfen können aus diesen Lineamenten erwachsen,
sogar Ornamentformen, die in den neunziger Jahren ihren Schrecken
verloren haben.
Während des jetzt skizzierten Arbeitsprozesses treten einige
ästhetische Herausforderungen an die Künstlerin heran, etwa mit der
Frage: Wie hältst du es mit dem Raum ?
Zunächst fällt auf, dass die Künstlerin auf die Darstellung eines wie
auch immer gearteten Raumes zu verzichten scheint. Sie hat den
perspektivischen Raum aufgegeben. Das ermöglicht ihr, lange Zeit in
den Bildern auf ein Unten und Oben zu verzichten. Sie kann nun ihre
Bilder drehen und wenden, wie sie will; das Dargestellte ergibt sich
in der Fläche, auf der Ebene des Papiers und nicht mehr in einem
illusionistischen Raum.
Doch zwischen den Köpfen ist Raum durchaus vorhanden, dann,
wenn diese nicht nur linear umfahren, sondern plastisch
herausgearbeitet scheinen. Plastizität ist Raumdarstellung. Nicht
zuletzt dann, wenn zwei und mehrere Köpfe auf einander Bezug
nehmen, korrespondieren, auf einander zu reagieren scheinen.
Bei der Darstellung der Beziehung zwischen Fläche und Raum in
diesen Bildern darf die Weite des Weiß als Grundfläche nicht
übersehen werden. Es ist wie großes Feld, mehr noch wie ein
Kosmos, in dem sich dinglich und gedanklich diese Fülle an
Beziehungen abspielt.
Ein anderer Begriff wäre Musikalität. Das Wort „Klang“ wurde
schon angerührt; der wird hier selbst unterteilt in Rhythmus, Ablauf
oder in Umschreibungen wie laut und leise. Der Rhythmus der Bilder
wird von den Größen der Details bestimmt. Sie variieren natürlich,
aber sie haben doch eine gewisse Annäherung aneinander, wodurch
die Wiederkehr von Ähnlichkeiten, die einen Rhythmus bestimmen,
entsteht. Dazu gehören Gleichklang und Kontraste. Die Künstlerin
arbeitet die Kontraste nicht heraus, sie bevorzugt eine mildere Form
der Zusammenstellung; dennoch sind diese Gegensätze im Ausdruck
der Gesichter und in der Verwendung einzelner Farben vorhanden.
Damit wird das Musikalische unterstrichen, auch von der
Kompositionsweise des kontinuierlichen Zeichnens. Diese
Kontinuität ist ein zeitumfassendes Element, das so unmittelbar
selten in der bildenden Kunst ausgedrückt wird.
Die Offenheit der Bilder von Gisela Bartels ist nicht nur
Ausdruck der eigenen Welt, aus der heraus die Ideen und Einfälle
dieser Zeichnungen kommen, sondern auch Sinnbild für die Art
alltäglicher Kommunikation. Darunter ist auch Austausch zu verstehen, denn
zwischen den Details wird gegeben und genommen. Darunter ist auch
Verwandlung zu verstehen, der das einzelne Detail permanent unterworfen
wird.
Gisela Bartels hat, wie diese Ausstellung zeigt, in einer bewundernswerten
Kraftanstrengung ein großes Oeuvre voller Vielgestaltigkeit, Musikalität und
voll von Anregungen geschaffen.

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